TAG DER ENTSCHEIDUNG

Die Umstände rund um die Einstellung des Straßenbahnverkehrs zwischen dem Ehrenfeld und Grumme konnten über lange Zeit nur anhand historischer Zeitungsartikel beschrieben werden.

Wie knapp die Entscheidung zur Stilllegung der beliebten Linie war, wird anhand der Aufsichtsratsprotokolle der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG aus den frühen 1950er-Jahren deutlich.

Entscheidend für die Zukunft der Linie 9 war die Aufsichtsratssitzung des Verkehrsunternehmens vom 24. Juli 1951.

Die Stadt Bochum hatte in die Sitzung den Antrag eingebracht, die Straßenbahnlinie 9 über die Endstelle an der Wohlfahrtstraße hinaus nach Süden bis zur Markstraße zu verlängern. Der Mittelstreifen der im Ausbau befindlichen Königsallee war dafür bereits vorbereitet.

In einem zweiten Punkt stand die Umstellung der Straßenbahnlinie 27 von Langendreer nach Witten auf der Tagesordnung.

Weiterhin sollte im Rahmen der Sitzung als Alternative eine Umstellung er beiden Linien auf den Omnibusbetrieb geprüft werden.

STIMMUNGSUMSCHWUNG

Für eine Umstellung der Linien auf Omnibusse wäre nach ersten Berechnungen der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG die Beschaffung von zehn neuen Fahrzeugen notwendig gewesen. Das sprach zunächst einmal für die Straßenbahn.

Vermutlich im Verlauf der Aufsichtsratssitzung wurden die Kapazitäten neu berechnet. Jetzt kam das Verkehrsunternehmen auf einen Bedarf von nur noch sechs neuen Omnibussen.

Daraufhin kippte die Stimmung im Aufsichtsrat. Das Gremium stimmte der Umstellung der beiden Straßenbahnlinien auf den Omnibusbetrieb einstimmig zu.

KURZFRISTIGE PRESSEARBEIT

Am 6. Dezember 1951 wurde die am 8. Dezember 1951 bevorstehende Umstellung der Straßenbahnlinie 9 / 19 auf den Omnibusbetrieb in der Lokalpresse kommuniziert.

Die als Ersatz für die Straßenbahn eingeführte Omnibuslinie 53 verkehrte anfangs im Norden alternierend von der Zeche Constantin 6/7 bis zur Zeche Lothringen 3 / 4 und von der Kaiseraue bis zur Liboriusstraße. Im Süden fuhr der Bus über die Königsallee und die Bernecker Straße zur ehemaligen Zeche Carl Friedrich.

Von dort fuhr der Bus über die Karl-Friedrich-Straße (am 7. Mai 1929 nach der Zeche Carl Friedrich Erbstollen benannt, aber abweichend geschrieben) und die Straße „Am Holtkamp“ zur Blankensteiner Straße.

Bemerkenswert an dieser Route ist, dass über diese Streckenführung bereits in der Vorkriegszeit eine Straßenbahnlinie geführt werden sollte. Auf weiten Teil der geplanten Verbindung waren sogar Gleise verlegt worden. Diese wurden, nachdem das Projekt nicht zur Ausführung kam, wieder entfernt.

Eine alternierende Strecke der neuen Omnibuslinie 53 führte direkt über die Hattinger Straße zur Blankensteiner Straße.

Das Beitragsbild (Verlag Heinrich Koch, Essen – Sammlung Dirk Ernesti) zeigt einen Omnibus auf der Linie 53 in Höhe der Farnstraße. Die Straßenbahngleise liegen noch. Die Oberleitung ist bereits entfernt. Hinter dem Mittelstreifen ist in der Königsallee ein weiterer Omnibus auf dem Weg nach Süden zu sehen.

KANDIDATIN FÜR EINE STADTBAHN-LINIE

Die Straßenbahnlinie 9 war sicher die schönste aller Bochumer Straßenbahnlinien.

Der „Nachruf“ im Geschäftsbericht der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG für die Jahre 1951 und 1952 ist eher nüchtern: „Im Laufe des Jahres 1951 wurden die Straßenbahnlinien Castrop-Rauxel – Langendreer – Witten und Bochum-Grumme – Wohlfahrtstraße auf Omnibusbetrieb umgestellt. Für Erneuerung der Gleis- und Fahrleitungsanlagen dieser Linien und für die von der Stadt Bochum gewünschte Verlängerung der Linie 9 über die Wohlfahrtstraße hinaus nach Süden wären zur Weiterführung des Straßenbahnbetriebes erhebliche Mittel aufzuwenden gewesen. Die Schwierigkeiten, diese Mittel zu beschaffen, und der geringe Kapitalbedarf für Omnibusse waren entscheidend für die Umstellung.“

Tatsächlich hatte das Verkehrsunternehmen die Gleise in der Königsallee im Geschäftsjahr 1948/49 auf einer Länge von 816 Metern mit einem Kapitalaufwand von 58.171 DM erneuert.

Wie wäre die städtebauliche Entwicklung im Bochumer Süden verlaufen, wenn die ursprünglich „schienenfreundliche“ Stimmung in der Aufsichtsratssitzung vom 24. Juli 1951 nicht gekippt wäre?

Die von der Stadt Bochum vorgeschlagene Trassenführung der Straßenbahn über den Mittelstreifen der Königsallee hätte bis in die 1960er-Jahre hinein das Potenzial gehabt, die Stadtentwicklung im Bochumer Süden zu fördern. Durchaus denkbar ist, dass die Strecke dann auch in die Mitte der 1960er-Jahre beginnende Planung zur Stadtbahn Rhein-Ruhr einbezogen worden wäre.

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